Es war ein seltsames Gefühl, wieder im All unterwegs zu sein, besonders, nachdem Inara die letzten Jahre auf Sihnon gelebt und ihre Zeit damit verbracht hatte, junge zukünftige Companions zu unterrichten. Dass die Serenity dort überhaupt gehalten hatte, schien ein seltener Zufall zu sein, wenn auch einer, der zu Inaras Gunsten war. Früher hatte sie die ein oder andere interplanetare Reise gemacht, mal nach Londinium oder seltener nach Persephone, doch diese Reisen hatten nie lange gedauert. Dass sie jetzt tatsächlich eine einwöchige Reise vor sich hatte, machte Inara ein klein wenig nervös, auch wenn die Serenity Sihnons Atmosphäre gerade erst verlassen hatte.
Das Schiff selber hatte, wie auch beide Shuttles, Gravitationsgeneratoren, sodass man den Unterschied nur durch das Rumoren der Maschinen merkte, das, obwohl der Maschinenraum tief im Heck der Serenity zu sein schien, immer ein wenig zu spüren war, wenn man nur ruhig genug an einer Stelle stehen blieb, um die leisen Vibrationen im Boden wahrzunehmen. Dennoch, allein das Wissen, dass nur eine Metallhülle Inara vom eisigen, leeren All trennte, konnte durchaus beunruhigend sein. Gedankenverloren schüttelte sie den Kopf. Hier war sie nun, in der Sicherheit des Shuttles – ihres Shuttles – hier und nicht draußen.
Ein ehrliches Lächeln flog über ihr Gesicht, als sie an die Schiffsmechanikerin dachte, die sich nach anfänglicher Unsicherheit, die sie nur umso sympathischer machte, so freudig und enthusiastisch auf das Gespräch mit Inara eingelassen und sie mit Fragen gelöchert hatte, dass man meinen konnte, sie hätte schon seit Monaten nicht mehr einfach mit jemandem geplaudert. Vielleicht stimmte das auch, wer wusste das schon; vielleicht war sie aber auch nur ein besonders offenes, kommunikatives Mädchen. Dass ihre Freundlichkeit echt war und aus ganzem Herzen kam, sah Inara jedenfalls auf den ersten Blick.
Sie selber war gut darin, Menschen etwas vorzuspielen; das musste sie, denn nicht immer entpuppten sich ihre Kunden als die gebildeten und interessanten Gesprächspartner, als die sie sich präsentierten, und manche waren zwar gebildet, aber weit davon entfernt, interessante Gespräche führen zu können. Die Kompatibilität von Seelen ließ sich auf die Entfernung oft schwer einschätzen. Mit offener, ehrlicher Freude begrüßt zu werden, tat wirklich gut.
Es klopfte an ihrer Tür. War das nun das letzte Crewmitglied? “Herein”, sagte sie, aber es war wieder Kaylee, die hinter den Vorhängen zum Vorschein kam.
“Kommst du?”, fragte sie fröhlich. “Es gibt etwas zu Essen. Du gehörst dazu.”
Inara nickte und stand langsam auf, rein aus Gewohnheit darauf achtend, dass sie dabei nicht auf ihre Kleidung stieg. Sie richtete sich auf und löschte behutsam die Kerze, die sie der Behaglichkeit halber angezündet hatte, dann drehte sie sich zu Kaylee. “Ich komme”, sagte sie und folgte ihr durch die Vorhänge nach draußen.
“Irgendwann musst du mir zeigen, wie du das mit der Schminke so schön hinkriegst”, erwähnte das Mädchen, während sie in den Raum gingen, den man auf einem größeren Schiff wohl als 'Messe' bezeichnet hätte.
Inara lächelte sanft. “Ich kann es versuchen”, sagte sie und dachte, dass Kaylees glattes, ebenmäßiges Gesicht das kaum nötig hatte.
“Sehr schön”, freute sich Kaylee, und Inara musste an sich halten, um sie nicht einfach so zu umarmen und fest an sich zu drücken. Natürlich tat sie es nicht, schließlich … ja, was? Eigentlich war es nur ihre jahrelange Gewohnheit der Beherrschung und des perfekten, eleganten Auftretens, die Inara davon abhielten, diesem Impuls zu folgen.
Doch bevor sie ihm nachgeben konnte, traten sie schon durch eine letzte Tür in einen Raum, der wohl Küche und Esszimmer zugleich war. Beherrscht wurde er von einem großen Holztisch, der weitaus mehr Personen als den Anwesenden Platz bieten konnte. Jetzt befanden sich nur vier weitere Personen dort: Der Captain, Zoe und Wash sowie das vierte, letzte Crewmitglied.
“Shiny, Mann!” Der Mann grinste sie an. “Da hast du ja ne echt heiße Schnalle an Bord geholt, Cap. Hat sicher ne Menge gekostet. Na, wie wärs mit uns beiden, Kleine?”
Diesmal kam ihr ihre Selbstbeherrschung zugute, denn Inara verzog noch nicht einmal das Gesicht angesichts dieser rüden Worte. “Sparen Sie sich die Mühe, sie würden niemals auch nur in die weitere Auswahl kommen, Mister …?”, antwortete sie mit zwar überheblichen, wenn auch wahren Worten, jedoch ohne ihrer Stimme einen derartigen Klang zu geben.
Sie ließ ihren Blick kurz über die Gesichter der anderen schweifen. Aus Zoe, die hinter Washs Stuhl stand und ihre Hände auf der Lehne abstützte, konnte sie kaum etwas lesen, während Wash machte mit den Händen eine beruhigende Bewegung über dem Tisch machte und leise etwas in die Richtung des letzten Mannes murmelte.
Captain Reynolds lehnte sich gegen den gegenüberliegenden Türrahmen, ein anscheinend verärgerter Ausdruck auf seinem Gesicht. “Es reicht, Jayne”, sagte er mit deutlicher Stimme und Inara ließ ihren Blick rasch weitergleiten zu Kaylee, die sie und 'Jayne' mit großen Augen ansah. Es schien ihr nicht zu gefallen; genau genommen schien es keinem außer diesem Rohling zu gefallen.
Inara lächelte Kaylee ein hoffentlich beruhigendes 'Ist-schon-okay'-Lächeln zu, während sie den weiteren Worten des Captains zuhörte: “Das ist Inara Serra, Jayne, und du wirst sie wie einen Ehrengast behandeln. Sie ist unsere Botschafterin, merk dir das.” Inara kam nicht umhin, den durchaus spöttischen Tonfall zu bemerken, in dem er das sagte. Irgendetwas … irgendetwas störte auch ihn, nahm sie an, doch er fuhr fort: “Sie ist keine deiner Huren, verstanden?”
Der Mann grummelte irgendetwas und schaufelte sich mit seinen Stäbchen Essen in den Mund.
Inara beachtete ihn nicht weiter und wandte sich den anderen zu. “Vielen Dank für die Einladung zum Essen.” Sie konnte nichts Positives über das letzte Mitglied sagen, da erschien ihr ein Themenwechsel angebracht, außerdem war sie tatsächlich hungrig.
Der Captain nickte ihr zu. “Selbstverständlich. Bedienen Sie sich, Botschafterin.”
Von Jayne war ein Schnaufen zu hören, als ob er ein Lachen unterdrückte, und sie hatte das Gefühl, dass auch Captain Reynolds es nicht so ganz ernst mit ihr meinte. Botschafterin? Das konnte nur ein Scherz sein. Sie setzte sich an den Tisch und die anderen Stehenden taten es ihr gleich. In aller Stille begannen sie zu essen.
“Also, das ist Jayne Cobb”, vollendete Kaylee die Vorstellungsrunde. “Normalerweise ist er netter.” Ihre Stimme klang, soweit Inara das sagen konnte, ganz ungewohnt; recht streng nämlich.
Unwillkürlich lächelte sie Kaylee beruhigend an. “Danke, ich werde schon mit ihm zurecht kommen. Wir werden alle zurecht kommen.”
“Habs ja auch nich bös gemeint”, murmelte Jayne Cobb mit einem schiefen Grinsen.
Mit einer Serviette tupfte sich Inara die Lippen ab, bevor sie einen Schluck Wasser trank, während Kaylee neben ihr geräuschvoll die angehaltene Luft ausbließ.
“Na, dann ist doch alles schön”, sagte Kaylee erleichtert. “Will noch jemand etwas?”
Inara wusste nicht, wodurch der plötzliche Wandel kam, aber die Stimmung hatte sich geändert. Das erste Eis war gebrochen, wenn auch Inara, obwohl sie sich für anpassungsfähig und und flexibel hielt, das Gefühl hatte, einmal kurz ins Eiswasser der sozialen Interaktion getaucht worden zu sein. Doch sie war wieder daraus aufgetaucht, herausgezogen von Kaylees ansteckender Fröhlichkeit, und so schien es jedem am Tisch zu gehen. Alle lachten wieder, waren offener als zuvor, und Inara hatte das deutliche Gefühl, dass das eigentlich hauptsächlich Kaylee zu verdanken war.