Nachts war es kalt in der Wüste. Percy wusste das, aber darauf vorbereitet war er trotzdem nicht. Bill hatte sie vorgewarnt, dass sie bitte alle warme Pullis mitbringen sollten, für die Besuche in den Grabkammern und für die Nächte. Ein Blick aufs Thermometer zeigte, dass es nicht wirklich kalt war, nicht für britische Verhältnisse. Aber wenn vor ein paar Stunden noch die staubtrockene Hitze von über 40°C geherrscht hatte, so fühlten sich die nächtlichen 23° doch kalt genug an, um Pulli und Wolldecke zu entschuldigen.
Er zog sich seine Schuhe an, bevor er das Zelt verließ, denn Skorpione und Schlangen waren durchaus eine Gefahr, und stapfte über den steinigen Boden hinüber zu einem Felsen, auf dem eine kleine Gestalt saß, deren Silhouette sich gegen den hellen Sternenhimmel abhob.
"Darf ich?", fragte er leise, und wartete Ginnys Nicken ab, bevor er sich neben sie auf den Felsen setzte. Er bot ihr einen Teil der Wolldecke an und lächelte, als sie näher an ihn heranrückte und sich an ihn anlehnte.
Tagsüber trug sie eine Fassade aus Fröhlichkeit und Neugierde, die niemand durchbrechen konnte. Nur ihre nächtliche Schlaflosigkeit verriet Percy, dass es sich um eine Fassade handelte. Ob er sie darauf ansprechen konnte? Aber auch in Hogwarts hatte sie nicht mit ihm darüber gesprochen, was sie beschäftigte. Das würde hier kaum anders sein. Erst kürzlich, in einem ernsten Gespräch mit seinem Vater, hatte Percy erfahren, was es mit Ginnys Verhalten auf sich hatte.
Die Wahrheit zu wissen, war eine Bürde, nicht nur um seiner Schwester Willen. Hatte er selber vielleicht zu wenig getan? Er hätte besser auf sie achten müssen, sich nicht immer ablenken lassen dürfen, wenn sie sich seiner Fürsorglichkeit entzogen hatte. Damals im Herbst, als er ihr Madam Pomfreys Aufpäppeltrank verabreicht hatte, oder als das Schicksal von Filchs Katze sie so mitgenommen hatte. Er hätte merken müssen, dass es nicht nur die allgemeine Aufregung einer Erstklässlerin war, die um eine versteinerte Katze trauerte oder Angst um den Schulbesuch ihres Bruders hatte. Ginny war aus einem härteren Holz geschnitzt, das wusste er, das hatte er auch damals schon gewusst, und was sie beschäftigte, musste also etwas Großes sein. Wäre er doch nur aufmerksamer gewesen.
Percy hatte als Vertrauensschüler versagt, aber vor allem hatte er als Bruder versagt. Er legte den Arm um Ginnys Schulter und drückte sie etwas an sich. "Sieht schön aus, oder?" Der Sternenhimmel war wirklich beeindruckend. So klar, so hell – keine atmosphärischen Verunreinigungen, die einen Flimmereffekt erzeugten, und keine Stadtlichter, die die schwächeren Sterne unsichtbar machten. Der Wüstenhimmel war etwas Besonderes.
Ginny nickte. "Welche Kombination ist das?"
Percy folgte mit den Augen ihrem ausgestreckten Arm. "Das weiß ich nicht", gab er zu. "Das sieht man von Großbritannien aus gar ... gar nicht." Er verstummte, und blickte zu Ginny. "Manche Dinge sieht man von einem bestimmten Blickwinkel aus nicht. Man muss sie von einer anderen Seite aus angehen, von einer anderen Situation, um sie erkennen zu können." Etwas peinlich berührt räusperte er sich. Er bezweifelte, dass diese Lebensweisheit ihr etwas brachte.
"Wirst du schlafen können, wenn wir bald wieder reingehen?", fragte er.
"Sitzt du mit mir morgen Nacht wieder hier?"
"Wenn du möchtest."
"Dann ja."
Percy atmete auf. Nachts war es kalt in der Wüste, aber im Zelt war es warm.