Preface

...denn wir alle hinterlassen unsere Spuren im Stein
Posted originally on the Archive of Our Own at http://archiveofourown.org/works/41335338.

Rating:
General Audiences
Archive Warning:
No Archive Warnings Apply
Category:
Gen
Fandom:
Harry Potter - J. K. Rowling
Character:
Luna Lovegood
Additional Tags:
Introspection, memories of war, Friendship
Language:
Deutsch
Stats:
Published: 2013-05-03 Words: 3,436 Chapters: 1/1

...denn wir alle hinterlassen unsere Spuren im Stein

Summary

Der Krieg hat bei ihnen allen seinen Spuren hinterlassen, aber damit ist er nicht der einzige. Mehr denn je schätzt Luna die Freundschaften, die sie im Laufe der Jahre geknüpft hat. Und es ist immer Zeit dafür, das ihren Freundinnen und Freunden auch zu zeigen.

Notes

2013 geschrieben für ein Fandom-Turnier, hier zu Archiv-Zwecken. Ich freue mich natürlich trotzdem über Leser*innen.

...denn wir alle hinterlassen unsere Spuren im Stein

Wenn man über die Brüstung des Astronomieturms hinweg blickte, sah man für gewöhnlich nur einen sternenklaren Himmel, meistens mit einer mehr oder weniger großen Mondsichel oder –scheibe. Wenn man sich davon ablenken ließ, bemerkte man auch das Flackern des Lichtes in Hagrids Hütte am Waldrand. Ansonsten gab es keine Lichter, und den meisten Schülern entging der grandiose Ausblick, den man tagsüber haben konnte.
Normalerweise war der Zutritt verboten und die Tür, die auf die freie Fläche an der Spitze des Turmes führte, verschlossen, der gewöhnliche Schüler konnte sie nicht so einfach öffnen.

Luna Lovegood war häufig auf dem Astronomieturm.
Zum ersten Mal war sie tagsüber dorthin gegangen, als sie in der dritten Klasse für Astronomie einen Venustransit beobachtet hatte. In der Theoriestunde des Vortages hatten sie die Daten ausgerechnet, und Luna war zu Professor Sinistra gegangen und hatte sie gebeten, ihr Teleskop zur entsprechenden Zeit – selbstverständlich mit Sonnenfilter und allem drum und dran – auf der Turmspitze aufbauen zu dürfen. Die Professorin hatte es ihr mit Freude erlaubt. Dass Luna von ihrem Mitschülern für seltsam, vielleicht etwas dumm und für verrückt gehalten wurde, bedeutete nämlich nicht, dass das stimmte, und schon gar nicht, dass sich ihre Interessen auf ein Gebiet beschränkten. Astronomie war spannend, auch wenn man dabei keinen Sternenstaub auffangen konnte.

Seit dem Tag des Venustransits kam Luna oft auch tagsüber auf den Astronomieturm. Manchmal tatsächlich, um die Sonne zu beobachten. Aber die hohe Plattform stellte auch einen Rückzugsort dar, ein Refugium, wenn ihre Klassenkameraden sie mal wieder mehr als üblich ärgerten. Bei einem dieser Besuche war Luna dann auch der beeindruckende Blick über die Landschaft aufgefallen.
Ignorierte man die Türme und Dächer Hogwarts‘, sah man im Nordwesten über das Quidditchfeld und im Norden über die Tore Hogwarts‘ hinweg das Dorf Hogsmead in einer hübschen Kulisse aus schroffen Granitbergen, wie sie für diese Region Schottlands typisch waren.
Im Osten lag die peitschende Weide und etwas weiter entfernt Hagrids kleine Hütte im Blickfeld, welches vollkommen vom Verbotenen Wald eingenommen wurde.
Im Westen sah man hinter den Mauern Hogwarts‘ die glazial geprägte Landschaft der Highlands, während im Süden der See den Blick vereinnahmte.

Luna mochte die Aussicht über die Berge, ganz besonders aber liebte sie es, im Morgengrauen oben auf dem Turm zu sein und die Sonne über dem Verbotenen Wald aufgehen zu sehen. In der zweiten Klasse hatte man sie ausgelacht, als sie gesagt hatte, dass die Hogwartskutschen von schwarzen geflügelten Pferden gezogen wurden. Sie hingegen hatte nicht verstanden, weshalb die anderen Schüler die skelettartigen Pferde nicht sahen oder hörten. Erst später hatte sie erfahren, was es mit den Tieren auf sich hatte.
Und wenn über dem Wald noch der Nebel lag, kam es Luna so vor, als würde sie bei Sonnenaufgang kleine Sonnentanzfeen fliegen sehen.

Als sie im vierten Jahr Teil der DA wurde, waren die Besuche auf dem Astronomieturm weniger geworden. Der Kontakt zu Ginny Weasley und ihren Freunden hatte die Sticheleien weniger gemacht und Lunas Leben einfacher und schöner. Der Raum der Wünsche als Treffpunkt der Verteidigungsgruppe bekam ebenfalls besonderen Stellenwert als Rückzugsraum, er bedeutete Kameradschaft, Zaubern üben und Freundschaft.
Wenn der Raum der Wünsche Kameradschaft bedeutete, so blieb der Astronomieturm dennoch besonders wichtig: Manchmal war es Luna, als würde sie dieser Ort besonders mit dem Schloss verbinden, als habe Hogwarts eine eigene Magie, die sich an seinem höchsten Punkt am besten erspüren ließ.

An diesem Abend saß Luna in ihrem Gemeinschaftsraum und wiederholte alles, was sie im sechsten und siebten Schuljahr in Aufzucht und Pflege magischer Geschöpfe gelernt hatten. Crups und Feuerkrabben, Jarveys und Jobberknolle, Plimpys (leider nur die einfachen, dabei waren Schluck-Plimpys doch viel interessanter), Runespoors, quasi sämtliche Tierwesen, die in „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ aufgezählt waren, hatten sie zumindest in der Theorie behandelt. Es war ganz nett gewesen, das Einhorn zu beobachten oder den Nifflern beim Graben zuzusehen.
Ob junge Schnatzer wohl ein silbernes Federkleid hatten und erst mit der ersten Mauser ihr charakteristisch goldenes Aussehen bekamen? Lustig wäre es, sie müsste unbedingt mal in ein Schnatzer-Reservat und darüber nachforschen. Vielleicht konnte sie ihren Vater dazu überreden, sie für eine Reportage in eines zu schicken. Bei Einhörnern war es ja so, dass die Fohlen golden und die erwachsenen Tiere silbrig-weiß waren. Vielleicht hatte das etwas mit dem Mond zu tun, und mit der Sonne, also silbern und golden. Das musste sie die Zentauren fragen, wenn sie die das nächste Mal traf, die wussten das sicherlich.

Seufzend konzentrierte sich Luna wieder auf ihre Unterlagen. Die Wesen, die sie behandelt hatten, waren ganz interessant, aber doch sicherlich nicht alles, was es auf der Welt gab! Und die ganzen Regelungen und Richtlinien sowie die aktuelle Gesetzgebung der Tierwesenbehörde waren auch nichts, womit Luna sich gerne beschäftigte.
Nein, viel lieber war sie draußen auf den Schlossgründen oder sogar im Wald. Natürlich durfte sie den nicht alleine betreten, aber manchmal schaffte sie es, Hagrid zu überreden, sie bei der Fütterung und Pflege der Thestrale oder Hippogreife helfen zu lassen – das war ihre Eintrittskarte in den Verbotenen Wald.

Es war der Samstag des letzten Hogsmead-Wochenendes vor den Prüfungen und der Gemeinschaftsraum dementsprechend leer. Draußen war gutes Wetter, sodass die meisten Erst- und Zweitklässler draußen am See waren. Im Schloss blieben nur die Fünft- und Siebtklässler, die letzte Prüfungsvorbereitungen tätigten oder einmal einfach Ruhe haben wollten, wodurch es im Gemeinschaftsraum wirklich still war.

Umso mehr fiel es auf, als doch Stimmen laut wurden:
„Glaub mir das doch, du kannst einen Marstransit nicht beobachten!“
„Was sollte mich denn daran hindern? Der böse Kriegsgott, der nicht will, dass ich ihn bei Tageslicht sehe? Jeder Planet muss an der Sonne vorbei.“
„Aber nicht so, dass du ihn dabei beobachten kannst! Frag doch mal Loony, die wird dir das auch bestätigen können.“
„Loony? Warum sollte ich jemandem auch nur irgendetwas glauben, der einem ernsthaft weismachen will, dass es so etwas wie Schrumpfhörnige Schnarchkackler oder Nargel gibt?
Luna seufzte abermals. Konzentrieren konnte sie sich sowieso nicht, wenn ihre beiden Schulkameraden so stritten, aber dass sie nun auch mit einbezogen wurde… das störte sie.

Eigentlich nannte sie seit der vierten Klasse niemand mehr Loony. Seit sie in die DA gekommen war und Freunde gefunden hatte, war sie zu Luna geworden, und mit ihrer Widerstandsarbeit in der sechsten Klasse war der Respekt, den ihr die Schulkameraden entgegen brachten, sprunghaft angestiegen. Sie hatte nicht damit gerechnet, jemals wieder „Loony“ genannt zu werden, aber die beiden diskutierenden Fünftklässler belehrten sie eines Besseren.
„Hey, Loony“, rief der erste gerade. „Komm mal rüber!“

Luna sah von ihren Unterlagen auf. „Ich heiße  Luna“, antwortete sie, „und ich bin gerade beschäftigt. Frag doch Professor Sinistra, oder frag nach dem Abendessen nochmal.“ Damit wandte sie sich wieder ihren magischen Geschöpfen zu, weiteren Protest seitens der Fünftklässler ignorierend.
Auch, wenn sie in den letzten zwei Jahren viel souveräner geworden war – solche Situationen machten sie immernoch unsicher. Lange hatte sie sich alles gefallen lassen, und auch jetzt tat sie sich schwer dabei, abweisend zu sein, das lag nicht in ihrem Naturell.

Vor zwei Jahren war es leichter gewesen, einfach ihr Ding durchzuziehen. Da hatte sie eine Aufgabe, die es zu erfüllen galt, eine sinnvolle Tätigkeit, und, nicht zu vergessen: Ginny und Neville, später dann Mr. Ollivander als Begleitung. Natürlich hatten Harry, Ron und Hermione große Dinge vollbracht, soweit Luna es überblicken konnte und mitbekommen hatte.
Aber sie hatte in diesem Jahr ihre eigenen Erfahrungen gemacht.

Die Leitung der DA war eine erfüllende Aufgabe gewesen. Schülern zu helfen, die sich gegen das Todesser-Regime aufgelehnt hatten, gemeinsam Widerstandsaktionen zu starten, die fast täglichen geheimen Treffen im Raum der Wünsche zu organisieren.
Meistens war es so gewesen: Neville war mit der praktischen Organisation von Aktionen, mit der Versorgung von Verletzten und der allgemeinen Organisation des Raumes beschäftigt, Ginny durch ihre energische Art mit der Aufrechterhaltung der Moral.
Und Luna kümmerte sich häufig um die großen und kleinen Streitereien und zwischenmenschlichen Probleme, die bei all dem Druck, der auf ihnen lastete, auftauchten, sie war das vermittelnde Glied zwischen allen Individuen innerhalb von Dumbledores Armee.


Seit Beginn der Woche war die Stimmung im Raum der Wünsche unruhig. Bei Carrow mussten die oberen Jahrgänge Folterflüche lernen – nicht den Cruciatus, sondern andere dunkle Flüche. Nur zu gut hatte Luna in diesen wenigen Wochen des bisher vergangenen Schuljahres gelernt, dass sich die Dunklen Künste nicht auf die drei Unverzeihlichen beschränkten. Fast jeder von ihnen, der in diesem Raum versammelt war, hatte das am eigenen Leib erfahren.
Wenn die Carrows ihre Zöglinge üben ließen, dann verwendeten sie häufig den Cruciatus-Fluch, ja. Man konnte ihn am Fluchopfer nicht nachweisen, er hinterließ selten körperliche Spuren. Wenn sie aber Geständnisse wollten, griffen sie zu anderen Mitteln.

Nicht nur einmal musste Luna ein ganzes Wochenende lang in einem stockfinsteren Kerkerraum stehen, ohne sich rühren zu dürfen, ohne Essen oder Trinken, ohne Schlaf, sodass sie ganz die Orientierung verlor und jegliches Gespür für Zeit sowieso. Wenn es schnell gehen sollte mit dem Geständnis, wurden Flüche eingesetzt. Einer beispielsweise war wie das Gegenteil des Kopfblasenzaubers: Er entzog einem sämtliche Atemluft, endlose Sekunden lang, bis Luna schwummrig wurde und sie dachte, ersticken zu müssen.

Nicht nur einmal war Neville  bleich und zitternd in den Raum der Wünsche gekommen, nachdem er seine Strafarbeit bei den Carrows abgesessen hatte. Bald hatte er Luna von seinen Eltern erzählt, von deren Mut und jetzigem Zustand, von seiner Kindheit mit seiner Großmutter und davon, dass er nie und nimmer aufgeben wolle – dass aber sein Irrwicht längst nicht mehr Professor Snape war, sondern der Wahnsinn.

Die Aktion im Schulleiterbüro war nicht geglückt, Snape hatte sie erwischt, als Neville, Ginny und Luna versucht hatten, das Schwert Gryffindors zu stehlen. Ein starkes Zeichen wäre das gewesen – Gryffindor gegen Slytherin, und das Schwert für Harry Potter, aber es war missglückt. Ihre Strafe hatte Snape ihnen noch nicht mitgeteilt, und nun, bereits mehrere Tage später, saßen die drei bedrückt im Raum der Wünsche.

„Vielleicht müssen wir nur Kessel schrubben oder im Krankenflügel helfen“, schlug Ginny vor, wohl im Versuch, eine nicht ganz so düstere Alternative ins Spiel zu bringen.
Neville lachte bitter auf, ein Laut, an den sich Luna inzwischen fast schon gewöhnt hatte. Fröhliches, freies Lachen war dieser Tage selten geworden. Warum ließ Snape sie so zappeln?
„Wahrscheinlicher ist doch, dass er uns zwingt, die Leute überhaupt erst in den Krankenflügel zu befördern“, sagte er. „Sofern sie derartige Verletzungen dort überhaupt behandeln lassen, normalerweise sind sie ja der Meinung, dass man die Strafe verdient hat und daher ertragen muss.“
„Warten wir doch ab. Irgendwann wird er uns bestrafen, und dann wird es uns genug Sorgen bereiten.“, griff Luna ein. „Uns jetzt darüber Gedanken zu machen, bringt uns nicht weiter.“

Die folgende Stille wurde von Terry Boot und Anthony Goldstein unterbrochen, die den Raum betraten, der sofort ein wenig seine Gestalt änderte: Zusätzlich zur Sitzecke, in der sich Luna, Ginny und Neville aufhielten, erschien ein freier Bereich, der mit Kissen gepolstert war und einige Gegenstände bereithielten, die gewöhnlich zum Üben von Zaubern verwendet wurden. Sie grüßten und fingen an, an den Kissen und anderen Gegenständen Verwandlungen zu üben.
Luna sah ihnen interessiert zu, es lenkte von anderen Sorgen und Problemen ab.

Nach und nach füllte sich der Raum, immer mehr aktive Mitglieder der DA gesellten sich zu ihnen. Manche zum Üben, andere für Unterhaltungen, wieder andere, um Ideen für neue Aktionen zu sammeln. Die eigentlich produktive Stimmung wurde von der ausstehenden Bestrafung Nevilles, Ginnys und Lunas überschattet, die von allen als inoffizielle Anführer anerkannt wurden.
„Nun lass doch auch mich mal diese Verwandlung üben, Parvati! Nicht immer nur du“, hörte Luna Lavenders gereizte Stimme.
Die beiden Mädchen waren häufig hier, ebenso Parvatis Schwester Padma, und so bekam Luna viel von deren Umgang miteinander mit. Eigentlich waren Streitereien selten, aber in dieser Woche waren sie schon mehrmals aneinander geraten.
„Ach was, von uns beiden bist du McGonagalls Liebling und sowieso in Verwandlung besser, du brauchst das nicht üben.“
„Doch, muss ich! Daher gib mir endlich –“ Luna war aufgestanden und zu ihnen gegangen, nun unterbrach sie mit ruhiger Stimme: „Hier, bitte sehr, du kannst meines haben. Dann könnt ihr beide üben.“
Parvati und Lavender beruhigten sich bald wieder und Padma lächelte Luna zu.
Luna mochte sie, von den Zwillingen war sie die Ruhigere und Besonnenere. Eine enge Bindung hatte sie fast nur zu ihrer Schwester, sodass sie in ihrem Jahrgang bei den Ravenclaws eher alleine war. Wie auch bei Luna änderte das erst die DA, die ein gemeinsames Ziel bedeutete und damit Zusammenhalt schaffte.

Es waren mehr die kleinen Reibereien wie diese als große Streitpunkte, die in der Gruppe auftauchten, die aber das insgesamt gespannte Klima anheizten. Luna musste ihre ganze Beobachtungsgabe und Wortgewandtheit aufbringen, um im richtigen Moment an der richtigen Stelle vermittelnd auftreten zu können.

Erst weitere vier Tage später erfuhren sie ihre Strafe und mussten sich sehr zusammenreißen, um bei der Verkündung nicht laut loszulachen – diesmal ein ehrliches, befreites, erleichtertes Lachen, denn mit Hagrid am folgenden Wochenende in den Verbotenen Wald zu gehen, das war wirklich lächerlich.
An diesem Abend fand im Raum der Wünsche die erste und einzige Feier der DA statt, so erleichtert waren sie alle.


Das gemeinsam ausgestandene Leid schweißte zusammen. Im Sommer nach dem Sieg über Voldemort hatten sie alle viel in Briefkontakt gestanden, sofern sie sich nicht sowieso gegenseitig besuchten.
Luna lehnte es ab, mit anderen als Neville und Ginny, oder vielleicht noch wenigen anderen Mitgliedern von Dumbledores Armee, über die Zeit auf Hogwarts zu sprechen, selbst ihrem Vater erzählte sie nur halbe Wahrheiten.

Der Sommer war für die britische magische Bevölkerung geprägt von Siegesfeiern und dem langsam beginnenden Wiederaufbau der Gesellschaft. Man hatte das kollektive Gefühl, gegen das Böse in der Welt aktiv einen Sieg errungen zu haben.

Für diejenigen, die den Sieg tatsächlich erkämpft hatten, sah das freilich anders aus.
Das halb zerstörte Hogwarts musste wieder aufgebaut werden, damit im September eine neue Generation von Schülern ihre Ausbildung antreten konnten. Todesser und Sympathisanten waren weiterhin auf freiem Fuß und entzogen sich der Festnahme. Das Ministerium war infiltriert von ihnen, es war schwer, die Mitläufer von den Aktiven zu unterscheiden. Und nicht zuletzt: Alle, die gekämpft hatten, hatten auch Wunden erlitten, die nicht mit einem Zauber oder einem Trank geheilt werden konnten.

Luna hatte viel Halt in ihren Freunden und Mitkämpfern gefunden, in Neville und Ginny ganz besonders, was die Erlebnisse der Zeit in Hogwarts betraf. Es tat gut, sich gemeinsam zu erinnern, oder auch einfach nur Zeit miteinander zu verbringen. Auch wenn die Verluste und Erinnerungen schwer auf ihnen lasteten, war es erleichternd, beisammen zu sein und zu wissen: Die anderen konnten verstehen, was in einem vorging.
Gleich nach der Schlacht hatte Luna sich eine eigene Eule zugelegt, um mit ihren Freunden in Kontakt bleiben zu können. Auch Mr. Ollivander, mit dem sie über Monate im Keller der Malfoys gefangen war, zählte mittlerweile zu ihren Freunden. Er war sogar der einzige ihrer Freunde, der die Erfahrung der Haft in diesem Ausmaß teilte, der verstehen konnte, dass sie völlige Dunkelheit nicht mehr ertragen konnte. Nachts ließ sie meistens ein kleines Licht brennen, damit es immer hell war.

Als Luna sich entschied, auch das sechste Schuljahr zu wiederholen, von dem sie nur ein Trimester mitbekommen hatte, war sie sich bewusst, dass das eine Trennung von vielen ihrer Freunde bedeutete, lediglich Ginny wiederholte ebenfalls das sechste Schuljahr.
Dennoch, sie hatte nun Freunde, Gefährten, Kameraden. Leute, mit denen sie Erlebnisse und Erfahrungen teilte, die sie auch nicht auslachten, selbst wenn sie die Vorzüge von Süßwasser-Plimpy-Suppe pries oder von Schlickschlumpf-Absaugern erzählte. In der ganzen Bandbreite ihrer Persönlichkeit wurde sie von ihren Freunden akzeptiert.
Deswegen war das Letzte, womit sie nun, am Ende der siebten Klasse, rechnete, „Loony“ genannt zu werden.

Luna bemerkte, dass sie zwar auf ihre Unterlagen starrte, den Inhalt aber seit Längerem nicht mehr wahrgenommen hatte. Vermutlich hatte sie für heute genug gelernt und sollte sich nun eine Pause gönnen. Es müsste sowieso ein Wunder geschehen, damit sie Aufzucht und Pflege magischer Geschöpfe nicht mit mindestens Erwartungen Übertroffen bestand. Sie räumte ihre Unterlagen in die Tasche und verließ den Gemeinschaftsraum.

Das Schloss war wie ausgestorben, aber es war auf eine positive Art still, die Luna zur Ruhe kommen ließ und die Erinnerungen besänftige, die beim Lernen hochgekommen waren. Es waren Gedanken an den Krieg und an den Widerstand, die sie normalerweise beunruhigt zurückließen. Manche Narben heilten nur langsam, und der Krieg war so eine. Aber auch diese Narben heilten irgendwann ab, und Luna merkte, dass sie immer häufiger das Gefühl hatte, frei zu sein.

Wie von selbst trugen ihre Schritte sie nach draußen aufs Schlossgelände. Sie schlug weder den Weg zum See ein noch den zu den Toren, sondern ging, die Peitschende Weide geräumig umgehend, zu Hagrids Hütte, deren Bewohner allerdings nirgends zu sehen war, anscheinend war er anderswo auf den Schlossgründen beschäftigt.

So schlenderte Luna nun weiter, am Rand des Waldes entlang nach Süden, bis sie doch an den See kam, wo sie sich ein ruhiges Eckchen am Ufer suchte, an dem sie sich niederließ. Pergament, Tinte und Feder hatte sie mitgebracht, allerdings nicht zum Lernen.
Als sich Luna später auf den Rückweg zum Schloss machte, trug sie einen Brief in ihrer Tasche.

Nachdem sie den Brief abgeschickt hatte, fand sich Luna an ihrem Lieblingsort wieder. Während unten auf den Schlossgründen die Sonne gerade schon hinter den Bergen untergegangen war, erreichten die letzten Strahlen die Spitze des höchsten Turmes, Luna breitete genießerisch die Arme aus und schloss die Augen.

Dies war ihr Abschied vom Schloss, so kam es ihr vor, auch wenn noch einige Tage vor ihr lagen. Ein Abschied, von dem sie immer gewusst hatte, dass er kommen würde. Von dem sie in ihren ersten Jahren auf Hogwarts nicht gedacht hätte, dass er ihr je schwer fallen würde, während er sie nun an alles erinnerte, was ihr wichtig war.

Im Sommer wollte sie auf Reisen gehen, diesmal ohne ihren Vater, sondern alleine, und magische Naturforscher anderer Länder aufsuchen, um bei ihnen zu studieren, um ihren Traum zu verwirklichen.
Neville studierte Kräuterkunde, Ginny wollte professionell Quidditch spielen. Luna wusste, dass ihre Freundin das Zeug dazu hatte. Harry und Ron waren mitten in der Aurorenausbildung, Hermione arbeitete im reformierten Ministerium. Padma Patil war mit ihrer Schwester in Indien, Mr. Ollivander hatte sich zurückgezogen und das Geschäft seinem Nachfolger überlassen. Hagrid würde natürlich in Hogwarts bleiben.

Luna hoffte sehr, dass der Kontakt hielt, zu all ihren Freunden. Sie wusste, es war nun natürlich, dass sich Menschen, die in unterschiedlichen Lebenssituationen, auseinanderlebten. Manchmal gingen Freundschaften, so hatte sie beobachtet, auch ganz still auseinander, indem sich die Freunde in unterschiedliche Richtungen entwickelten, oder dass schleichende Veränderungen irgendwann dazu führten, dass sich ehemalige Freunde im Regen stehen ließen, nicht mehr grüßten oder höchstens belanglose Worte wechselten, wenn sie sich nach langer Trennung kaum wiedererkannten.

Von Herzen hoffte sie, dass sie alle einander nicht vergessen würden, dass sie, die sich nahe gekommen waren und einander in widrigen Situationen Halt gegeben hatten, den Tanz des Lebens niemals alleine tanzen mussten.
Früher hatte es Luna nicht gestört, alleine auf anderer Leute Hochzeiten zu tanzen, aber die heutige Luna war eine andere: Es war viel schöner, wenn man einander an den Händen fasste und gemeinsam durch die Nacht tanzte.

Ein letztes Mal stand Luna oben auf dem Astronomieturm, die Hände auf die kalte Steinbrüstung gelegt. In ihnen allen hatte Hogwarts seine Spuren hinterlassen, und sie ihre Spuren auch im Schloss. Nein, Luna würde ihre Schule nie vergessen, und das Schloss sie auch nicht. Sie hatte ihre Spuren tief in der Magie Hogwarts‘ eingewoben, die sie immer dann besonders zu spüren glaubte, wenn sie oben auf dem Turm war. Jeder Schüler hinterließ seine Spuren in Hogwarts, und zwar umso stärker, je mehr er sich mit der Schule verbunden fühlte.
Und vielleicht galt das auch bei Menschen.


Liebe Freunde, hatte Luna geschrieben,

ich hoffe, dieser Brief erreicht euch alle und meine Eule vergisst niemanden. Sie hat das zwar noch nie gemacht, also mehrere Personen nacheinander mit dem gleichen Brief angeflogen, aber sie schafft das bestimmt.

Eine kleine Lernpause nutze ich, um euch alle einzuladen: Papa hat unser Haus wieder aufgebaut, ihr könnt also in der ersten Ferienwoche am Samstag kommen, wenn ihr da Zeit habt. Mr. Ollivander, Sie können ja die Zeit auch mit meinem Vater verbringen, wenn die jungen Leute Ihnen zu viel werden.
Oh, und denkt euch einen Spruch oder ein Bild aus...denn wir alle hinterlassen unsere Spuren im Stein, mit allem was wir im Leben tun. Und ich will, dass ihr alle eure Spuren auf meiner Zimmerwand hinterlasst.

Ich freue mich auf euch,
Luna

P.S.: Hier unten ist noch Platz, dort könnt ihr antworten wenn ihr wollt, aber gebt den Brief auf jeden Fall wieder meiner Eule zurück, sonst bekommen ihn nicht alle. Bis bald, Luna

Afterword

Please drop by the archive and comment to let the author know if you enjoyed their work!